Der Dudelsack in der reformierten Kirche der Niedergrafschaft
In der letzten Zeit bekomme ich als Orgellehrer von meinen momentanen und ehemaligen Orgelschülern regelmäßig Rückmeldungen über Gottesdienste und Trauungen.
Meistens geht es dann um musikalische Beiträge die oft grenzwertig sind.
Es handelt sich meistens um Sänger(innen) mit Trolley/Verstärkeranlage, die auf Einladung des Brautpaares während des Gottesdienstes einen musikalischen Beitrag leisten.
Das Repertoire ist Rock /Pop und Schlager à la Helene Fischer.
Diese Darbietungen haben mit religiösen Werten kaum etwas zu tun. Das zukünftige Brautpaar macht im Trau-Gespräch seine Wünsche dem Pastor bekannt, und das wird meistens auch akzeptiert.
Ich fragte bei Gelegenheit einen Pastor, ob er wisse, was da gesungen werde. Seine Antwort war, dass es eigentlich egal ist, weil das auf Englisch Gesungene kaum zu verstehen ist.
Zwei Beispiele:
Erstes Beispiel
Zwei Vorfälle möchte ich hier gerne schildern, damit es noch deutlicher wird:
Im Juni hatte eine ehemalige Schülerin von mir, sie hat übrigens D-Prüfung, eine Trauung gespielt.
Sie beschrieb mir, dass fünf Minuten vor dem Anfang, ein Mann im schottischen Rock nach oben kam und ihr mitgeteilt habe, dass er aus Stuttgart gekommen sei und das Brautpaar gerne überraschen wolle mit seinem Dudelsack & Trommler. Er habe gesagt: „den Eingang spiele ich, und wenn Sie das Stück kennen, dürfen Sie gerne mitspielen“.
Sie war total überrascht und hat protestiert, aber viel Zeit für Worte war nicht da und es ging schon los! Das Ausgangsstück hat er auch übernommen. . . .
Meine Schülerin war überrumpelt und sprachlos.
Nach dem Gottesdienst kam der Pastor nach oben und fragte, ob das abgesprochen gewesen sei, und sie hat ihm dann von der unangenehmen „Überraschung“ erzählt.
Mit Pastor und Organistin war nichts abgesprochen!
Der Pastor war auch unangenehm überrascht. Er fühlte sich nur noch wie ein Statist, nur notwendig für die Formalitäten: Es war eben wie ein Event, wie wir das kennen von RTL
Zweites Beispiel:
Ich musste plötzlich einspringen bei einer Trauung, der Pastor übrigens auch.
Es sollte ein sich selbst auf Gitarre begleitender Sänger kommen; der sollte Ein-und Ausgang übernehmen und noch 2 weitere Stücke im Gottesdienst spielen.
Pastor und Bräutigam warteten…..es kam aber niemand.
Ich wurde gebeten die entstandene Lücke zu füllen und ein Eingangsstück aus dem Ärmel zu schütteln.
Der Gottesdienst nahm seinen Lauf und nach einer halben Stunde, kam der „Solist“ doch noch! (Er hatte sich vertan mit der Uhrzeit).
Ich empfand sein Spiel als unpassend für diese kirchliche Handlung; die musikalische Darbietungen hatten nichts zu tun mit dem, was man „Reformiert“ nennt.
Sie wären abends im Festsaal passender gewesen.
Nach Ablauf wollte der Pastor mir danken.
Ich sagte ihm, dass Gottesdienste mit dieser Art von Musik nicht mein Ding seien.
Die Antwort vom ihm war: er sei froh, dass überhaupt noch kirchlich geheiratet werde. Darauf ich: „und dann ist euch auch alles recht“. Dann blieb es stille. . . .
Nachdem ich meine Abkehr von solchen „hybriden Gottesdiensten“ noch mal erläutert hatte, sagte er: „ich kann es verstehen“, aber ich nahm ihm das nicht ab.
Wenn er das wirklich verstanden hätte, wäre es von ihm nicht genehmigt worden.
Darauf wieder keine Stellungnahme, nur ein „trotzdem bedankt“.
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Sag es laut-Hochzeitschor
Ja Silbermond [englischer Coverversion]
I will follow him (Cover from Sisteract)
Pastoren & Musik
Pastoren sind „Diener des Wortes“ und nicht „Diener der Musik“.
Durchaus ist es mit dem musikalischen Rüstzeug dieser Berufsgruppe leider schlecht bestellt. Es gibt natürlich auch ein paar Ausnahmen, das ist aber nicht die Regel.
In der Ausbildung wird die Kirchenmusik kaum behandelt.
Der Psalter, reformiertes Erbgut, droht schon abhanden zu kommen.
Etliche Pastoren sind der Meinung, dass das Psalmen-Singen nicht mehr zumutbar sei.
Das macht wiederum deutlich, dass die eigene Begrenzung als Maßstab angewendet wird; die jüngere Pastoren-Generation ist nicht immer mehr selbstverständlich damit groß geworden.
Die Liedzettel für den Organisten zeigen das auch.
Dann gibt es noch Geistliche, die beratungsresistent sind.
Sie haben die unangenehme Gewohnheit, von dem zu singenden Lied erst mal selbst alle betreffenden Strophen vorzulesen.
In der Liturgie ist das aber ein fester Teil für die Gemeinde.
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Einzug zu “Sing Halleluja!”
Unsere Hochzeit: Eintanz in die Kirche:
Wir suchen das Gespräch
Es wäre zu begrüßen, dass man Pastor Edzard Herlyn, der von der Landeskirche u.a. dafür angestellt ist und auch Kirchenmusik studiert hat, mal einlädt, um sein praktisches Wissen und seine breite Erfahrung, in einer Pastoren-Konferenz mit allen Anwesenden zu teilen.
Warum schreibe ich diesen Beitrag?
Seit 1983 unterrichte ich Kirchenorgel an der Musikschule Niedergrafschaft.
Im Laufe der Zeit haben etwa 30 meiner Schüler die D-Prüfung abgelegt als „Organist im Nebenamt“ [Prüfung der Luth-Landeskirche Hannovers].
Viele der heutigen und ehemaligen Schülern spielen sonntäglich im Gottesdienst.
Ich möchte für sie gerne eine Lanze brechen, weil dieses Thema direkt mit ihrer Stellung im Gottesdienst zu tun hat.
Viele trauen sich (noch) nicht Kritik an solchen Events zu üben; manche verabschieden sich aber auch schon davon und tragen sich im Organisten-Plan nicht mehr ein.
Es ist nicht hinnehmbar, dass in vielen Trauungen [und allmählich gilt das auch schon für Beerdigungen] der Organist verdrängt und nur für nur 2 Lieder zum Begleiten „bestellt“ wird.
Alles andere wird des öfteren übernommen von CD’s oder für den „Event“ speziell eingeflogene Leute.
Organisten-Schutz
Pastoren sollten ihre Organisten mehr in Schutz nehmen. Ihre Zahl ist auch schon drastisch am Schwinden.
Ich weiß aber auch, dass viele Pastoren unter dieser Situation leiden und manche lieber Beerdigungen leiten als eine Trauung.
Musik ist nicht harmlos und beliebig
Musik ist ein Teil der Liturgie: sie ist auch Verkündigung und deswegen nicht beliebig.
Ich empfinde es als beleidigend Teil solcher Trauungen zu sein, die die Musik theologisch unreflektiert einsetzen.
Und auch von der musikalischen Leistung her ist es meist billig und flach.
Hinzu kommt eine sonderbare Anspruchshaltung, dass man Musik quasi als „Sonderausstattung“ käuflich erwerben und dem Brautpaar zum Geschenk machen kann.
Ideen werden gefunden von anderen Hochzeiten auf YOUTUBE und das hat dann viele Nachahmer.
Die Frage drängt sich auf, warum heiraten junge Leute eigentlich in der Kirche?
Wegen der schönen Kulisse? Wegen der schönen Bilder?
Oder vielleicht auch wegen religiöser Inhalte?
Jede Art von Musik hat ihren eigenen Platz: in einer Disco will ich keine Psalmen oder Gregorianik hören, in der Kirche keine Musik, die nicht übereinkommt mit der Würde eines Gottesdienstes.
Gebete, Choräle, Lesungen und die Predigt sollen im Vordergrund stehen.
Cool
Neben den Zugeständnissen an unterschiedlichsten Musikgeschmack versuchen manche Pastoren „lustig“ zu sein, coole Sprüche von sich zu geben. Klar, man hat die Lacher auf seiner Seite.
Hat das noch mit religiösen Werten oder persönlicher Glauben zu tun?
Wochenspruch
Im Bezug auf die Event-Gottesdienste ende ich gerne mit einem Wort von dem dänischen Philosophen, Theologen und Schriftsteller Søren Kierkegaard:
Wer sich mit dem Zeitgeist vermählt, wird bald Witwer sein!
Oder: wer heute modern sein will, ist morgen schon altmodisch.
Weiterer eigener Beitrag auf meinem Blog: Die Verkündigung muss neu erfunden werden: der rappende Pastor bietet die Lösung?
Egbert, ich sage einfach mal „du“,
du hättest auch schreiben können: Wenn schon der Pastor wenig Ahnung hat von sinnvoller Musik in den Gottesdiensten, woher sollen dann die oft blutigen Laien etwas davon verstehen?
Vielleicht habe ich im Nachhinein etwas richtig gehandhabt, dass ich z. B. Brautleute oder Trauernde nicht animiert habe: Was möchten Sie denn gern hören? Was war denn das Lieblingslied des Verstorbenen? Damit hätte ich sicher die Tür geöffnet für manchen Unsinn!
Dass Kirchenmusik kein leichtes Kapitel ist, wissen wir. Wer Erfahrungen hat, wie Choräle usw. für das Gesangbuch ausgesucht werden und durch welche Zufälligkeiten sie dann Aufnahme finden, kann „ein paar Strophen mitsingen“. Das Lied „Danke für . . .“ ist wohl der erste „Schlager“, das ins Gesangbuch gelangt ist. Ganz einfach „gestrickt“! Aufgepeppt wird es oft dadurch, dass mit einem tieferen Ton begonnen wird und von Strophe zu Strophe um einen halben Ton höher angestimmt wird.
Oder: „Herr, deine Liebe ist wie Gras und Ufer . . .“, dessen Text (nicht die Melodie?!) ich als Kitsch bezeichne.
Jammern hilft nicht! Ich stelle mir vor, durch die Gemeinden zu ziehen („Sendfahrt“) und für runde Gottesdienste zu werben. Wer hat Zeit und Lust? Ich wäre gern dabei!
Düllerk
„Gott schreibt auch auf krummen Linien gerade“, hat einmal einer gesagt.
Das entpflichtet uns, „alles richtig zu machen“. Mit unsrer Macht ist nichts getan, sagt Luther. Und er hat recht!
Mich haben nicht die tollsten „Aufführungen“ im Glauben gestärkt, sondern ganz einfache Worte, aber von Herzen gesprochen, ganz persönlich. Gott findet schon seine Leute, die uns seine Botschaft nahe bringen. Das tröstet!
Düllerk
Goed stuk.
Het is bedroevend om te moeten constateren dat het begrip ‚kwaliteit‘ bij velen heden ten dage niet meer van toepassing lijkt. Alles moet wijken voor de ‚kijkcijfers‘.
Wanneer gaan de pastores en predikanten inzien dat ze het op de lange termijn met dit ‚popie-Jopie‘-gedoe niet gaan redden?
Ondertussen wordt veel goeds verkwanselt en afgebroken. Tót het te laat is en men beseft dat wat eens werd weggegooid niet (zomaar) weer terug komt.
Mensen, wordt wakker!
Lieber Egbert,
dieser Artikel ist mir zufällig in die Hände gefallen.
Ich habe ihn bereits an meine Pastoren weitergeleitet,
weil ich vieles davon auch nachvollziehen kann.
Das sollte diskutiert werden.
Wohin geht die Reise…?
Beste Grüße aus Melle-Buer
Matthias